Gastbeitrag
Hallo, ich heiße Henriette. Eine sehr nette, riesengroße zweibeinige Maus hat mich so genannt und der Name gefällt mir. Ich behalte ihn. Ah ja, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin ein drei Monate alter – also eher junger! – Mäuserich. Ich habe ein dunkelgraues Fell, das bei günstigen Lichtverhältnissen sogar ein bisschen schwarz glänzt. Dazu passen perfekt meine sehr großen, strahlend schwarzen Knopfaugen, mit denen ich jedes Mausmädchen betören kann. Aber auch auf meine Figur bin ich stolz, ich bin schlank und durchtrainiert, ein bisschen klein vielleicht, aber das gibt sich sicher noch. Und wenn nicht, macht es auch nichts, da ich derzeit fast überall hineinschlüpfen und mich verstecken kann. Für mein Alter habe ich allerdings schon einen überdimensional langen Schwanz, den ich meistens ein bisschen geschwungen hinter mir herziehe und dem meine Mäusemädchen nicht widerstehen können. Es ist also sonnenklar, dass sich auch die große Menschenmaus in mich verliebt hat. Die Geschichte will ich euch jetzt erzählen.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich positionierte mich mitten auf dem Teppich im Kellerstüberl: anmutiger Sitz, Schwanz lässig nach hinten geschwungen, treuherziger Knopfaugenblick. So saß ich da, als die große, zweibeinige Menschenmaus vor dem Herd stand und sich umdrehte. „Da bist du!“ sagte sie. Sie hatte mich nämlich schon tags zuvor kurz im Vorzimmer vorbeihuschen gesehen, aber mich nicht mehr gefunden. Eh klar, ich passe ja in jede kleinste Ritze. Wenn ich nicht will, dass sie mich findet, findet sie mich auch nicht. „Du bist ja süß!“ fügte sie hinzu. „Passt!“ dachte ich mir, „jetzt bekomme ich gleich etwas zu fressen!“ Hungrig war ich nämlich schon sehr. Zur Vorsicht rannte ich zurück in mein Versteck, wagte mich aber kurz darauf wieder hervor, um zu schauen, ob es schon etwas zu fressen gab. Aber sie kramte noch herum, packte das Mehl, das da herumstand, in den Ofen. Warum denn das? Ich mag Mehl eh nicht! Und auch nicht den Käse, den sie mir hinstellte. Sie setzte sich in die Mitte des Zimmers und beobachtete mich. Ich lief sternförmig immer wieder zu ihr, schnupperte an ihren Hausschuhen und schloss Freundschaft mit ihr. „Henriette! Ich werde dich Henriette nennen!“ sagte sie plötzlich. Und holte ein Stück Schokolade hervor, das sie mir auf ein Tablett legte. Dann drehte sie das Licht ab und ging weg. Hab ich´s mir nicht gedacht. Das ist eine Fünf-Sterne-Hütte, wo es Zotter-Schokolade für Mäuse zum Abendessen gibt.
Ein bisschen böse bin ich ihr aber schon, der Menschenmaus. Am nächsten Tag bekam ich zwar wieder Schokolade, aber diesmal war sie in einer Falle drinnen. Als ich die Schokolade in mein Versteck holen wollte, klappte die Falle zu und ich musste drinnen einige Stunden warten, bis mich meine große Mausfreundin fand. Mein Schock hatte sich mit der Zeit etwas gelegt und auch meine große Angst war unbegründet. Außerdem bin ich doch ein tapferer Mäuserich! „Henriette. Gott sei Dank, jetzt kann ich dich hinaus in die Freiheit bringen!“ Sie filmte mich noch mit den Worten „Du bist sooo süß! Am liebsten würde ich dich behalten!“ „Wo, bitte?! fragte ich mich und bekam es wieder mit der Angst zu tun. Aber nur ganz kurz. Denn schon ging mitten in der schönsten Landschaft die Türe meiner Falle auf und ich lief rasch in die freie Natur hinaus. Dort war gerade das Paradies, denn ich konnte von der Gartenmauer aus auch aufs Nachbarfeld gelangen, wo gerade gemäht worden war und viele Weizenkörner herumlagen. Schokolade schmeckt zwar besser, aber es ist ein ganz eigenes Glücksgefühl, sich den Wind um die Barthaare wehen zu lassen. Das möchte ich auch nicht gegen ein Stück Schokolade tauschen.
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