Ein ungustiöser Bierbauch hing über meinen Sattel und wurstige, verschwitzte Hände umklammerten meine komfortablen Gummigriffe. Obwohl mein Elektroantrieb bereits auf die höchste Stufe geschalten war und mein übergewichtiger, unsportlicher Fahrgast kaum durch sein Treten zur Geschwindigkeit beitrug, tropften ständig riesige Schweißtropfen auf meinen Rahmen, die frisch geölte Kette und den heißen Asphalt des Donauradweges. Wie gerne hätte ich mir eine Luxusreinigung im Radgeschäft oder eine ruhige Nacht in der Garage gegönnt, aber der Mann glaubte doch ernsthaft, dass bei so einer geringen Tretleistung die Kilos nur so purzeln würden. So hatte ich mir jedenfalls mein Dasein als sportlich-komfortables Elektro-Mountainbike für den Fahrer oder die Fahrerin mit einem großzügigen Sportgerätebudget nicht vorgestellt.
Als ich vor wenigen Monaten in der Fabrik im idyllischen Südtirol zusammengebaut wurde, hatte ich noch große Träume. Erfahrene Elektroräder, die zur Reparatur in der Werkstatt waren, hatten von wunderbaren Bergankünften mit ihren gut erhaltenen Sportlerinnen und Sportlern fortgeschrittenen Alters berichtet, die trotzdem nicht auf das Erklimmen von Gipfeln verzichten wollten. Wie löblich, dachte ich mir, so macht dieser Elektroantrieb wirklich einen Sinn. In jeder freien Minute stellte ich mir vor, wie es sich wohl anfühlen würde, das Blätter- oder Nadeldach der letzten Baumreihe hinter sich zu lassen und zu genießen, wie sich die wunderbare Aussicht vor mir eröffnete. Zu guter Letzt würde ich bei der Bergankunft damit belohnt werden, dass meine Besitzerin oder mein Besitzer zufrieden mit der sportlichen Leistung genüsslich die frische Bergluft inhalierte und einen glücklichen Seufzer ausstieß.
Die Realität war jedoch eine andere. Nach meiner Fertigstellung wurde ich in die Stadt verfrachtet, wo ich mit einem großzügigen Rabatt als Vorjahresmodell verscherbelt wurde. Nach nur zwei Tagen im grellen Schauraum hatte ich das Interesse von einem ungustiös dicken Mann erweckt, der der Verkäuferin gleich berichtete, dass der Arzt ihm geraten hatte, rasch 20 bis 30 Kilo abzunehmen, um dem sicheren Herzinfarkt oder Gehirnschlag zu entrinnen. Ein normales Rad wollte er sich jedoch nicht antun, denn das sei ihm zu viel Aufwand. Ich betete, dass mein potentieller Käufer noch irgendwie davon abgebracht werden konnte. Auch von der Tatsache, dass meine maximale Beladung 125 Kilo war, ließ er sich nicht umstimmen. “Ah das geht schon, ich hab ja nur 130. Wenn ich die 5/2 Diät brav befolge und ab und zu mit dem Rad fahre, bin ich sicher bald drunter.”
Schließlich bezahlte der Mann, was ihn bereits außer Atem brachte, und entschied sich sogar, mich trotz Aufpreis liefern zu lassen, weil ihm meine Schachtel zu schwer war. Ich hätte sofort in all meine fachmännisch zusammengebauten Einzelteile zerfallen können. Mit diesem Besitzer würde ich nie einen Gipfel erzwingen, wie ich es mir so lange erträumt hatte. Nun, einige Wochen später, war der Mann, der scheinbar Franz-Dieter hieß, noch kein Gramm leichter und keuchte immer noch bei der kleinsten Anstrengung. Die Ausfahrten waren in der Regel kurz, weil ich auf der höchsten Stufe natürlich recht viel Strom verbrauchte, vor allem nachdem ich ja auch etwa 130 Kilo Last vorwärts bringen musste. Links und rechts überholten mich glänzende, windschnittige Rennräder und das ein oder andere zweckentfremdete Mountainbike und die einzige Freude, dir mir blieb war, die kühle Brise am Wasser.
Plötzlich vibrierte der dicke Hintern des Mannes. Das Gel in meinem Sattel kitzelte. Der Mann zog ein Mobiltelefon aus seiner Sporthose in Größe XXXXL und stürzte dabei fast auf den Radweg. Gerade noch konnte ich das Schlimmste verhindern, indem ich mich mit aller Kraft in die Gegenrichtung lehnte. Zum Glück hatte er schnell begriffen, dass er im Fahren nicht telefonieren konnte, stellte den Elektroantrieb ab und blieb ruckartig und unsanft mit mir stehen. “Jo, Ferdl, guat dass du mi no jetzt erreichst. I bin glei duat. Guade Idee, mei Mogn verdaut si eh scho fast von allanich,” brüllte er so laut ins Mobiltelefon, dass meine stabil gebauten Speichen vibrierten. Hektisch stieg er wieder auf, riss mir beim ersten rasanten Tritt fast die Kurbel aus der Verankerung und stellte wieder auf die höchste Stufe des Elektroantriebes. “I wü jo ins Gasthaus und net nach Haus,” redete er vor sich hin und gab sich zur Abwechslung etwas mehr Mühe als sonst, etwas zur Geschwindigkeit beizutragen. Wahrscheinlich dachte er schon an das Schnitzel, das er bald verspeisen würde.
Nach wenigen Minuten kamen wir beim Gasthaus zum grunzenden Schweinchen an und der ausgelaugte Mann hatte gerade noch genug Kraft, mich in den Radständer zu verfrachten, der etwas zu breit für meine bergtauglichen Reifen war. Das Verlangen nach einer Mahlzeit war scheinbar so groß, dass er sich nicht einmal mehr Zeit nahm, das Radschloss zu verwenden. Nun stand ich also unversperrt vor dem Gasthaus und hoffte, dass der Mann nicht wieder zu tief ins Glas schauen würde. Beim letzten Mal war mir vor lauter Schlangenlinien fahren ganz schlecht geworden. Ich ging alle Horrorszenarien durch, als sich plötzlich ein fremder Mann mit dunkler Brille an mich heranschlich, sich unsicher einige Male umsah und dann rasch mit mir davon sauste. Was war nur passiert? Ich wurde wohl gestohlen. Wie der dicke Mann wieder nach Hause kam, war mir ziemlich egal, aber ich machte mir Gedanken um meine Zukunft und mein Kettenöl wurde vor Angst ganz kalt. Zuerst war ich besorgt, was aus mir werden würde, doch dann kam ich zu dem Schluss, dass mein Leben sowieso nur besser werden konnte.
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