Rudi hatte sich für eine Verabredung in der Stadt in Schale geworfen. Samt seinem feinen Lederschuhwerk, das er nur zu besonderen Anlässen ausführte, war er am Weg nach Wien, um sich mit seinem Jugendfreund Peppi eine Operette zu Gemüte zu führen. Nachdem sich sowohl seine eigene Frau, als auch die seines ehemaligen Schulkollegen auf Kur befanden, hatten die zwei Männer kurzerhand beschlossen, sich einen netten gemeinsamen Abend zu machen anstatt sich zu Hause mit dem in die Jahre gekommenen Röhrenfernseher herumzuärgern und die sowieso schon dürftigen Biervorräte zu plündern. Noch dazu hatte Peppi für die Aufführung der Fledermaus an diesem Tag ein hervorragendes Angebot für Senioren ergattert, das sie unmöglich mit gutem Gewissen ausschlagen konnten.
Wie verabredet trafen sich die Männer am Bahnhof und reisten gemeinsam öffentlich an, um sich den Stress des Stadtverkehrs und die mühsame Parkplatzsuche zu ersparen. “Fesch siehst aus”, begrüßte Rudi seinen Freund. “Danke, du aber auch”, erwiderte Peppi und fügte kichernd hinzu: “Sieht fast so aus, als ob wir auf Aufriss gehen würden anstatt in die Oper.” Rudi grinste verschmitzt, während er sich durch die letzten verbliebenen Haare strich. “Vielleicht sollten wir die Frauen öfter auf Kur schicken.” Lachend stiegen die beiden in den kaum frequentierten Zug ein und ließen sich schließlich auf einer Vierersitzgruppe nieder. Die Stimmung wurde immer ausgelassener, vor allem nachdem Peppi einen Flachmann aus seinem Jackett gezaubert hatte. “Was, in der Oper ist der Alkohol total überteuert”, verteidigte sich der ehemalige Gemeindebedienstete gegenüber dem schockierten Blick seines Freundes.
Einige Stunden und mehrere Schluck Schnaps aus dem Flachmann später schlenderten die zwei Männer Arm in Arm von der Oper zur nächstgelegenen U-Bahn-Station. Die überschwängliche Stimmung wurde nicht einmal durch den leichten Nieselregen getrübt. Wörter fingen an, aus Peppi herauszusprudeln: “Meine Lieblingsszene war, wie die Rosalinde als falsche ungarische Gräfin entsetzt meinte ‘Was, Herr Markise, Sie sind zerheiratet?’ Zwischen den immer wiederkehrenden Lachanfällen murmelte er immer wieder “Zerheiratet!” in seinen Schnurrbart. “Aber Peppilein, das heißt doch Marquis, ohne das s am Ende zu betonen. Das ist Französisch!” unterbrach ihn schließlich sein Freund. “Eine Markise ist etwas ganz anderes.” Der Kommentar ging aber ins Leere und blieb völlig unbeachtet, denn der beschwipste Bärtige hatte schon längst zum Weiterreden angesetzt. “Oder wie der Gefängnisaufseher, dieser Herr Frosch, immer betrunken ist. Wie kann man nur Frosch heißen? Aber es passt irgendwie zu ihm.”
Während sein Freund weiterhin scheinbar jede einzelne Lieblingsszene Revue passieren ließ, bemerkte der weniger Beschwipste, dass sich langsam eine unangenehme Nässe im Zehenraum seiner Schuhe ausbreitete. Er beschwerte sich lautstark, aber jedoch ohne die Hoffnung, dass dies von seiner Begleitung registriert werden würde. “So ein Dreck. Jetzt sind die Schuhe auch noch undicht. Derweil ist das noch eine gute Qualität von damals.” “Wie meinst du ‘Qualität von damals’? Die schauen doch ganz neu aus!” antwortete seine Begleitung schließlich unerwartet, nachdem sie in letzter Sekunde noch in die U-Bahn-Garnitur gehechtet waren. “Geh, Peppi, die sind doch schon fast 20 Jahre alt. Aber ich pass halt gut drauf auf und zieh sie nur zu besonderen Anlässen an. Ich hab sogar noch ein zweites, gleiches Paar daheim stehen. Vielleicht muss ich den Schuh einfach nur neu imprägnieren, damit er wieder komplett wasserabweisend ist”, erklärte schließlich der Pensionist, während der Zug sich langsam in Bewegung setzte.
Auf dem kurzen Weg zwischen U-Bahn-Station und Zug-Bahnhof, der im Freien zurückgelegt werden musste, verspürte Rudi plötzlich zusätzlich zur Nässe auch noch einen unangenehmen Luftzug im Schuh. Das Nieseln war mittlerweile in einen garstigen Regen mit heftigen Windböen übergegangen. Grantig meinte schließlich der Besitzer der nassen, kalten Füße: “Ich verstehe wirklich nicht, warum die Stationen nicht verbunden sind. Warum hat die Stadt da so einen Pfusch beim Bau gemacht?” Peppi lachte: “Wenn es nur annähernd so ist, wie bei uns auf der Gemeinde, dann hat man entweder irgendjemandem Unfähigen den Auftrag zugeschanzt oder das Geld hat eben für eine gescheite Lösung nicht gereicht.” Auf den letzten Metern verlor schließlich Rudi das Gleichgewicht und sein Begleiter, der auch nicht mehr besonders sicher auf den Beinen war, konnte ihn gerade noch vor dem Sturz bewahren.
Als er wieder aufrecht zu stehen kam, fing er an, laut zu fluchen: “Fix Laudon, Stern! Ein so ein Schas. Deppertes Trottoir! Derweil hab ich ja nicht einmal so viel getrunken wie du.” Verstört blickten die beiden Männer auf den Boden, wo bereits einige Lacken standen, in denen sich das Licht der Straßenlaternen frisch fröhlich spiegelte. Gut beleuchtet und am anderen Ende von Rudis Körper präsentierte sich die Ursache des Stolperns. Wie die Nase eines Frachtflugzeuges, das gerade darauf wartete, mit teuren Gütern beladen zu werden, war der Vorderteil seines Schuhs aufgeklappt und hing nach oben und unten weg. “Ah schau, dein Schuh kann sprechen”, witzelte Peppi, doch sein Freund blickte ihn nur erbost an. “Das ist nicht lustig”, fauchte er schließlich. “Geh, alles halb so schlimm”, antwortete daraufhin der Freund mit den trockenen Schuhen gelassen. “Ich bin eh mit dem Auto am Bahnhof und kann dich daheim absetzen. Und nächstes Mal nimmst halt dann das andere Paar Schuh.”
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