Das Soletti-Kochbuch

Während Gundula gewissenhaft das Geländer des Balkons abstaubte, knabberte Egon genüsslich an einer Stange Soletti und absorbierte die wahrscheinlich letzten Sonnenstrahlen des diesjährigen Sommers. Die kleine Hündin Fifi versuchte vergeblich, am Bein des Herrchens hochzukraxeln, um ein heiß begehrtes Leckerli zu ergattern. “Geh, du Beißzange,” beschwerte er sich, “das ist nichts für dich! Außerdem kann ich das nicht brauchen, wenn du die neue Haushose ruinierst.” Die Frau, die etwas genervt war, weil ihr ihr Brummbär angeblich wegen eines eingeklemmten Nervs im Rücken nicht beim zweimal die Woche stattfindenden Balkonputz helfen konnte, meinte schnippisch: “Ich glaub, für dich ist das auch nicht so gesund, dauernd dieses Zeug zu snacken.” 

Egon, der kürzlich seine Vorliebe für die Sesam-Soletti, die seiner Meinung eine perfekte Mischung aus Sesam und Salz enthielten, entdeckt hatte, nahm unbeirrt ein weiteres Stangerl aus der blau-gelben Packung und biss übertrieben laut ab, um seine Frau zu ärgern. Dann nuschelte er mit halb vollem Mund: “Aber geh, die haben ja kaum Fett und der Sesam soll ja angeblich recht viel Vitamin B1 enthalten.” Gundula war jedoch nicht überzeugt: “Ich bin mir sicher, dass du ca. 35 Packungen Soletti essen musst, um deinen Tagesbedarf zu decken.” Sie schüttelte frustriert den Kopf und begann übermotiviert den zweiten Putzdurchgang am Geländer. 

“Das dauernde Soletti-Essen würde sich nur lohnen, wenn du an einem Kochbuch mit Solettirezepten arbeiten würdest. Sonst wäre deine Zeit eigentlich besser ins Putzen investiert,” häkelte Gundula ihren Mann, der mittlerweile fast die ganze Packung vertilgt hatte. Dem Solettifan war sogar etwas übel, weil er sich etwas überessen hatte, wollte es aber nicht zugeben, um seiner Frau nicht die Genugtuung zu gönnen. Er nahm sich jedoch vor, in Zukunft nicht so bald nach dem reichhaltigen Frühstück in die Snacklade zu greifen. Erst nachdem der Magen aufgehört hatte, unangenehm zu randalieren, antwortete der pensionierte Bäcker: “Das ist eigentlich eine hervorragende Idee. In der Pension hat mir bisher eh ein bisschen der Sinn im Leben gefehlt.”

Gundula, die nun mit dem Glanz des Geländers zufrieden war, blickte ihren Brummbären entsetzt an. “Aber das war doch nur ein Witz,” klärte sie ihn auf. “Was willst denn mit dem Zeugs zubereiten?” Egons Augen funkelten genauso wie damals, als er begeistert seine diversen wohlgeformten Backwaren in die Vitrine des Verkaufsraumes des Familienbetriebes drapierte und sich vorstellte, welche Freude die Menschen mit dem wohlschmeckenden Einkauf haben würden. “Du, da würde mir schon einiges einfallen,” erklärte er motiviert. “Schnitzel in Solettibröselkruste, Kartoffelauflauf mit Solettibruch und Käse überbacken, Solettiteigbrezeln, Karamelleis mit Solettiwaffeln,…” 

Während Egon samt dem Vierbeiner am Balkon verweilte, um sich mit nostalgischen Gefühlen der neuesten Ausgabe seines Lieblingsmagazins Allgemeine Bäckerzeitung zu widmen, setzte Gundula den Wohnungsputz im Innenraum fort. Zuerst schob sie jedoch einen Braten in den Ofen, der ihr schon ob der großen Vorfreude auf die feine Mahlzeit das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Das regelmäßige Surren des Staubsaugers, das die Wohnung dann erfüllte, machte Egon plötzlich müde und er musste mehrmals genüsslich gähnen. Wenig später fand er sich bereits im Traumland wieder, wo er sich auf einer exotischen Insel befand und tiefenentspannt bunte Cocktails schlürfte. Neben ihm lag seine Frau, die jedoch extrem unleidlich war, weil sie der Gedanke an die verstaubte Wohnung, die sie nach der längeren Abwesenheit sicherlich vorfinden würden, aus der Ruhe brachte. 

Plötzlich schreckte der Schlafende auf und kannte sich zuerst gar nicht aus. Die treuherzigen Augen des schusseligen Hundes starrten ihn an. Nachdem seine Hand komplett nass war, reimte er sich zusammen, dass die Beißzange wohl angefangen haben musste, ihn anzusabbern, was ihn folglich aus dem angenehmen Traum gerissen hatte. Noch dazu hatte er eine hektische Bewegung gemacht und den bis auf einige Bröseln leeren Sack Soletti vom Tisch buggsiert. Der restliche Inhalt war nun auf den frisch geputzten Fliesen verteilt. Zu allem Überfluss konnte er die Verunreinigung nicht mehr rechtzeitig beseitigen, bevor Gundula am Tatort eintraf. “Der Hund ist schuld”, versuchte er sich ungeschickt zu verteidigen. Die Frau durchschaute jedoch gleich ihren Mann und fluchte: “Muss das immer passieren, nachdem ich gerade geputzt habe? Wie das wieder aussieht. Stell dir vor, das sieht jemand.” 

Nachdem der immer noch ziemlich verschlafene Mann seiner Frau glaubhaft versichert hatte, dass er sich momentan gar nicht bewegen konnte, saugte Gundula missmutig die verteilten Brösel auf. Als sie nach getaner Arbeit den kabellosen Staubsauger wieder in die Abstellkammer bringen wollte, erwartete sie in der Wohnung bereits ein unangenehmes Aroma und leichter Rauch. Auch Egon roch den verbrannten Braten: “Du, Gündelchen, ich glaub das Mittagessen brennt…” Fluchend eilte die geplagte Frau in die Küche: “Wenn ich nicht deinen Dreck wegräumen hätte müssen, wäre das nie passiert.” Als sie den schwarzen Braten aus dem Ofen räumte, beschloss sie sich an ihrem mühsamen Mann zu rächen. Sie holte eine Packung Soletti aus der Lade, verteilte Liptauer-Aufstrich in zwei Schüsseln und trug das improvisierte Mittagessen auf den Balkon. 

“Ja, leider war der Braten nicht mehr zu retten, so ein blödes Timing mit deinem Hoppala vorhin. Ein paar Minuten früher und das Essen wäre sicher noch genießbar gewesen”, erklärte Gundula ihrem Mann. Egon, der immer noch verschlafen war, erblickte entsetzt die Soletti. “Was ist das?” wollte er wissen und zeigte auf das Tablett. “Ich kann jetzt auf die Schnelle nichts Neues kochen, da dachte ich mir, mein Brummbär liebt ja seine Soletti”, meinte sie und hatte Probleme dabei, eine ernste Miene bewahren. Der Pensionist, der eigentlich noch gar keinen Hunger hatte und schon gar keine Soletti mehr sehen konnte, seufzte verzweifelt, als seine Frau übertrieben enthusiastisch ein Soletti nach dem Anderen in den Aufstrich tauchte und dann genüsslich zerkaute. “Muss das wirklich sein?” brummte er vor sich hin. Mit Genugtuung entgegnete ihm Gundula: “Na geh, am Vormittag hast du noch davon geschwärmt.”


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