Egon räkelte sich verschlafen im Bett. Mit halb offenen und verkrusteten Augen warf er einen Blick auf den Wecker neben seinem Bett: 7:15 Uhr. Er wollte noch nicht aufstehen, aber die Matratze neben ihm war bereits leer und angenehmer Kaffeegeruch strömte in seine Nase. Gerade als er verzweifelt seine Decke über den Kopf ziehen wollte, um vielleicht noch einige Minuten seine Ruhe zu haben, blickten zwei neugierige Augen hinter dem Türstock hervor. Seine Frau Gundula verkündete begeistert: “Ah, gut, dass du schon wach bist, mein Brummbär, heute haben wir viel Hausarbeit vor uns, bevor wir zur Geburtstagsfeier von der Renate fahren. Du könntest gleich nach dem Frühstück den Balkon absaugen.” Der müde Mann verstand weder den Enthusiasmus seiner Frau, vor allem zu so früher Stunde, noch die Notwendigkeit, zwei Mal in der Woche den Balkon zu saugen. Widerwillig schleppte er sich ins Bad, zog sich seinen blau-weiß gestreiften Bademantel an und setzte sich wie ferngesteuert zu seiner Tasse Kaffee, die neben einem Stück Striezel genüsslich vor sich hin dampfte. Wenn er etwas wacher gewesen wäre, wäre er noch ein paar Runden auf dem Balkon laufen gegangen. Nachdem er sich aber nicht überwinden konnte, beschloss er dafür am Montag doppelt so viel zu laufen, um so den Trainingsrückstand aufzuholen.
Während Gundula bedächtig kleine abgerissene Bisschen Striezel in ihren Kaffee tunkte und diese dann rasch zum Mund führte, bevor die aufgesaugte Flüssigkeit auf den Tisch tropfte, versuchte der kleine Terrier Fifi unentwegt die Aufmerksamkeit des Herrchens auf sich zu ziehen. “Ich hab jetzt keine Energie für das Gequietsche,” maulte er und schenkte sich eine weitere Tasse starken Kaffee ein. Fifi gab jedoch nicht auf und begann unter dem Mantel zu versuchen, die haarigen Beine des Pensionisten hinaufzuklettern. Plötzlich unterbrach ein schmerzverzerrter Schrei die morgendliche Frühstücksruhe. “Auuuuuuuuuu! Blöder Köter,” brüllte Egon. “Mein Bein ist jetzt ganz aufgekratzt und blutet.” Er schoss von seinem schon in die Jahre gekommenen Sessel auf und packte den verängstigten Hund am Halsband. Gundula versuchte noch, ihren Mann zu beruhigen. “Komm bitte, lass sie doch in Ruhe. Sie wollte doch nur ein bisschen Aufmerksamkeit von dir!” Doch er hatte sie schon auf den Balkon bugsiert und die Türe rasch verschlossen. Als er wieder beim Esstisch angelangt war, saß sie schon vor der Glasscheibe, suchte verzweifelt die Augen des Frauchens und jaulte um Hilfe. Ohne sich wieder zu setzen, verschluckte Egon den letzten Teil seines Striezels hastig und stellte sich genervt unter die Dusche.
Nach der Dusche fühlte sich Egon zwar etwas wacher, aber die Situation wurmte ihn trotzdem noch immer. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer packte er den Beutelstaubsauger, den er letztes Jahr günstig im Angebot ergattert hatte, und schleppte das unförmige Ungetüm in Richtung Balkon. Als Fifi, die mittlerweile auf dem Sofa von der gutmütigen Frau beruhigt wurde, ihn sah, knurrte sie zuerst mit verbissenen Zähnen und sprang dann, als er sich immer noch annäherte, auf und rannte wie von der Tarantel gestochen ins Badezimmer, wo sie sich unter einem Haufen benutzter Handtücher in Sicherheit brachte. Als der in einem türkisen Retro-Trainingsanzug gekleidete Mann beinahe zu Sturz kam, weil er die Schwelle zwischen Wohnzimmer und Balkon übersehen hatte, fing er an laut zu schimpfen: “Scheiß Staubsauger! Ein so ein vermurkster, blöder Tag schon wieder.” Im kleinen Hof kam prompt eine Antwort: “Hoit de Pappn um de Uhrzeit, oida Hawara!” Kurz überlegte er, ob er vielleicht gegenüber der Frau die Beschwerde über die frühmorgendliche Ruhestörung als Vorwand nehmen sollte, warum er jetzt nicht saugen konnte, erinnerte sich aber dann, dass Ausreden selten wirksam waren, vor allem wenn es um den Staub am Balkon ging.
Resignierend steckte er das lange Kabel in die am Balkon befindliche Steckdose und warf den lauten Apparat, der an diesem Tag mehr Geräusche als Saugkraft von sich gab, an. Obwohl es ihm unangenehm war, dass er um 8 Uhr so viel Lärm produzierte, befolgte er das strenge, von der Frau erstellte Balkonreinigungsprotokoll bis ins kleinste Detail. Schließlich herrschte sowieso dicke Luft, weil er vorhin den geliebten Vierbeiner auf den Balkon verbannt hatte. Zuerst saugte er mit einem schmalen Aufsatz den Spalt zwischen den Betonplatten aus, dann mit der Parkettbürste die Platten selbst. Obwohl er die Reihenfolge brav eingehalten hatte, verfingen sind ungewohnt viele Haare und Spinnweben in der Bürste, sodass er kurzerhand beschloss, die Bürste abzusaugen, bevor der sich die Spinnweben an der Wand vornahm. Nach 20 Minuten Balkonreinigen war er komplett verschwitzt und ärgerte sich, dass er mit der Dusche nicht gewartet hatte. Genervt packte er den schweren Apparat und schwor sich, beim nächsten Kauf mehr auf das Gewicht als auf den Preis zu achten. Schweißtropfen liefen ihm über die hohe Stirne, wo nur mehr vereinzelte Haare den jahrelangen Haarausfall überstanden hatten. Als er sich gedanklich schon wieder im Inneren der Wohnung befand, verspürte er plötzlich Nässe auf seiner bloßen Fußsohle. Als er hinunter blickte, erkannte er gleich seitlich einen braunen Rand. Der Hund musste vorhin aus Protest ein Häufchen gelegt haben. Nur, warum hatte er es beim Saugen nicht entdeckt? Er begann, hochrot anzulaufen. Als er gerade wieder drohte, in Rage zu geraten, gab er auf. Wenigstens hatte er nun einen guten Grund für eine zweite, erfrischende Dusche.
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