Der Wahlkampfleiter

Gegen 21 Uhr ließ sich Isabelle erschöpft in den Holzsitz der alten Straßenbahn fallen. Sie nahm ihr Mobiltelefon aus der falschen Lederhandtasche und schickte ihrem Mann eine Nachricht: “Bin am Heimweg. Brauche Aufmunterung. Warum ist der Chef nur so mühsam?” Etwa 20 Minuten später sperrte sie freudig die Wohnungstüre auf und gab ihrem Mann Harald, der schon im Vorzimmer auf sie wartete, einen zärtlichen Kuss. Endlich konnte sie sich einigermaßen entspannen. “Was war denn wieder los?” wollte er gleich wissen. Ihre Gesichtszüge verkrampften sich beim Gedanken an ihren Arbeitstag. “Der Chef hat wieder einmal auf eine Deadline vergessen und ich konnte es dann richten. Aber eigentlich würde ich lieber nicht darüber reden,” erwiderte sie. Der Mann strich ihr behutsam über den Rücken und versuchte, sie wieder zu beruhigen: “Ich habe dir schon ein Curry aufgewärmt und uns eine Flasche Wein aufgemacht. Das hilft sicher. Und nachher schauen wir uns etwas ganz Lustiges an, das ich vorhin auf ORF 3 entdeckt habe.” Sie zog sich die Schuhe aus und setzte sich zum Tisch. “Ok, aber seit wann schaust du diesen Sender an?” Sie kicherte kurz und verschlang dann das Essen hastig. 

“Hat der Mann nicht vor ein paar Jahren diesen desaströsen Wahlkampf von dem Guggenbrauer geleitet?” fragte Isabelle ihren Mann, nachdem sie auf eine entspanntere restliche Woche vor dem Fernseher angestoßen hatten. Harald musste lachen: “Ja, genau!” Die Moderatorin stellte sogleich ihren Gast in der Sendung, der unter einem großen Schirm in einem Garten saß, vor: “Ich freue mich sehr, heute Günther Petermann bei mir zu haben. Er sammelt nun seit einigen Jahren Rasenmäher und hat sich als wahrer Experte in der Szene etabliert. Verraten Sie unseren Zuseherinnen und Zusehern vor den Bildschirmen bitte, wie sie dazu gekommen sind!“ Der ehemalige Wahlkampfleiter dämpfte genüsslich eine Zigarette aus und begann zu erzählen: “Da die Wählerinnen und Wähler unser wunderbares Angebot leider nicht angenommen haben, habe ich mir gedacht, dass es für mich mehr Sinn machen würde, mich in anderen Bereichen zu engagieren. Ich wurde dann von einem lieben Freund gefragt, einen Rasenmäherverleih zu managen, ein Angebot, das mich sehr gereizt hat und wo ich meine Erfahrung wunderbar einbringen konnte. Als der Verleih dann nach zwei erfolgreichen Jahren schließen musste, war ich aber von den Rasenmähern so in den Bann gezogen, dass ich beschlossen habe, sie zu sammeln.”

Isabelle verschluckte sich wegen dem vielen Lachen beinahe an ihrem Wein. “Du hast mir wirklich nicht zu viel versprochen, Schatz,” ließ sie ihren Mann wissen, der sichtlich froh war, seine Frau von ihrem Frust ablenken zu können. “Kann man von dem leben oder gehen Sie noch einer anderen beruflichen Tätigkeit nach?” wollte die Moderatorin wissen. Der Sammler gab enthusiastisch Auskunft: “Meine Zielgruppenanalyse hat ergeben, dass zum jetzigen Zeitpunkt Fernsehauftritte für die Gesamtstrategie die richtige Vorgehensweise sind und dadurch am meisten Menschen erreicht werden können. Ab und zu gehe ich auch auf Messen, aber der Kontakt mit Menschen wird generell in der Branche überbewertet.” Die Moderatorin gab sich Mühe, seriös zu bleiben und deutete auf einen Fleck im Garten hinter der Kamera. Dankenswerterweise hat uns der Herr Petermann einige seiner Lieblingsmodelle aus seiner Sammlung mitgebracht. “Wollen wir uns diese einmal genauer ansehen?“ fragte sie rhetorisch in die Kamera und ging gemeinsam mit ihrem Gast über den englischen Rasen. Isabelle schenkte sich und Harald noch ein Glas Wein nach und meinte dabei: “Und du bist dir sicher, dass das keine Satire ist?” Beide kicherten genüsslich. 

“Was haben wir denn hier Tolles?” versuchte sich die Moderatorin für die Rasenmäher zu begeistern. Petermann klärte sein Gegenüber auf: “Das ist ein wahres Prachtstück. Der Kultrasenmäher Rasentrac B10, ein kanadisches Modell aus 1994. Das Besondere an diesem Rasentraktor ist, dass er innerhalb von nur wenigen Sekunden stehen bleibt, sobald man vom komfortabel dimensionierten Sitz aufsteht. Diese Konstruktion war damals weit ihrer Zeit voraus. Bei Modellen aus Asien, wie zum Beispiel jenen von Honda, wurde die Technologie frühestens drei, vier Jahre später verbaut. Besonders nützlich ist dieses Feature, wenn man gegen einen Zaun fährt und nach vorne geschleudert wird. Darüber hinaus kann man mit und ohne Gras-Auffangkorb mähen. Für ein halbwegs gut erhaltenes Modell bekommt man bis zu 850 Euro im Internet.” Noch bevor die Moderatorin ihre Überleitung zum zweiten Modell abgeschlossen hatte, fuhr der Sammler fort: “Hier haben wir mein persönliches Lieblingsstück, den Kubota G23 HD, ein wahres Powerhouse mit seinem wassergekühlten Dieselmotor mit beachtlichen 23PS. Durch seinen eingebauten Tempomaten, kann man einen gleichmäßigen Grasschnitt mit bis zu 17km/h sicherstellen. Die Gras-Füllstandsanzeige ist meiner Ansicht nach noch das Tüpfelchen am I, wie ich immer so gerne sage.” 

Die Moderatorin lächelte ihn etwas künstlich an und verkündete: “Das ist alles wirklich faszinierend. Nachdem wir aber nur mehr wenig Sendezeit übrig haben, bitte beim letzten mitgebrachten Gerät etwas kürzer halten.” Der Mann jedoch redete unbeeindruckt weiter: “Diesen prächtigen Mäher, den Herkules RM 600, habe ich erst kürzlich erstanden, weil in meiner Sammlung noch ein Gestrüppmäher gefehlt hat. In unserem Verleih war es eines der populärsten Leihgeräte.” Die Moderatorin räusperte sich auffällig und unterbrach den Mann gerade, als dieser Luft holen wollte: “Vielen Dank für das spannende Gespräch. Schalten Sie nächste Woche wieder ein, wenn wir mit der Ohrensesselsammlerin Gitti Huber sprechen. Guten Abend!” Isabelle stellte ihr leeres Weinglas auf den Couchtisch und meinte erheitert zu ihrem Mann: “Ich kann nicht mehr lachen, sonst krieg ich noch einen Bauchmuskelkater. Ich glaube, es war nicht nur der Wein, oder?” Der Mann antwortete etwas beschwipst: “Nein, sicher nicht. Aber gehen wir lieber schlafen, sonst kommen wir morgen nicht aus dem Bett.” Beide schliefen unruhig, weil sie etwas zu tief ins Glas geschaut hatten und noch dazu im Traum von Monster-Rasenmähern gejagt wurden. 


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