Teil 1 der Geschichte gibt es HIER.
August saß eingeschüchtert in seinem Ohrensessel und zitterte unkontrolliert vor Angst. Immer wieder blickte er auf den Eindringling, der weiterhin genüsslich um das Bierfass geklammert auf seinem Sofa schlief, und versuchte sich zu vergewissern, dass es sich wirklich um den von der Polizei gesuchten Verbrecher handelte. So sehr er auch hoffte, dass er entweder gleich aus diesem Alptraum aufwachen würde oder dass es nur eine blöde Verwechslung war, hatte er immer weniger Zweifel, dass sich Karlo Biczi in seinem Wohnzimmer befand. Aber wie war er nur in seine Wohnung gekommen? Und weswegen wurde er eigentlich von der Polizei gesucht? Tausende Gedanken schossen durch seinen Kopf. Er war wie paralysiert und wusste beim besten Willen keinen Ausweg aus dieser misslichen Lage. Weil ihm nichts Besseres einfiel, tippte er den Namen in sein Handy, um mehr über den Gefährlichkeitsgrad dieser ominösen Person herauszufinden. Gleich das erste Suchergebnis führte ihn zu einem Artikel in der U-Bahn Zeitung “Morgen”, der berichtete, dass es augenscheinlich am vergangenen Tag einen Raubmord in der Nähe des Lokals gegeben hatte, wo sie so ausgelassen Augusts grandiosen Triumph bei der Wiener Bierdeckelweitwurfmeisterschaft gefeiert hatten.
“Der Verdächtige wurde gegen Mitternacht beobachtet, als er mit zwei betrunkenen Männern und einem 10 Liter Bierfass in ein Taxi einstieg. Auch seine Komplizen sind weiterhin auf freiem Fuß,” las er angespannt. Daneben grinste ihm ein schlechtes, bei Nacht aufgenommenes Handy-Bild von ihm selbst mit seinen zwei Wohnungsinsassen entgegen. Nachdem er sich immer noch nicht an die genauen Details der vergangenen Nacht erinnern konnte, versuchte er fieberhaft die Ereignisse zu rekonstruieren. In Gedanken versunken zuckte er plötzlich zusammen, als der in der Küche schnarchende Vereinsobmann nach einige Atemaussetzern hektisch nach Luft schnappte. Wie konnte ein 26-jähriger schlanker Mann nur so laut schnarchen, ärgerte sich August, während sein Puls sich langsam wieder etwas beruhigte. Seinen ersten Plan, einfach die Polizei zu verständigen, hatte er mittlerweile verworfen. Letztendlich konnte er ja ob der Erinnerungslücken nicht hundertprozentig ausschließen, dass er auf irgendeine Weise in die Straftat verstrickt war. Trotzdem musste er den unliebsamen Gast so rasch wie möglich loswerden.
Er entschied sich also nach langem Hin- und Her-Überlegen, den Obmann zu wecken und mit ihm gemeinsam die ungute Situation zu bewältigen. Als er versuchte aufzustehen, schoss ihm ein stechender Schmerz durch sein gesamtes rechtes Bein. Gerade noch rechtzeitig biss er sich auf die Lippe, um einen lauten Schrei, der womöglich den Verbrecher aufgeweckt hätte, zu vermeiden. Mühsam und mit einem schmerzverzerrten Gesicht humpelte er in die Küche, um den Obmann zu reanimieren. Nachdem dieser weder auf seinen Namen, noch auf dezente Tritte reagierte, schüttete er ihm ein Glas kaltes Wasser ins Gesicht. Panisch schreckte er schließlich auf und starrte dem Bierdeckelweitwurfmeister mit aufgerissenen Augen ins Gesicht. Gerade als dieser Luft holen wollte, um sich über dieses unsanfte Aufweckmanöver zu beschweren, signalisierte ihm August, dass er sich still verhalten sollte. Vorsichtig flüsterte er ihm ins Ohr, dass er ihm im Schlafzimmer dringend etwas Brisantes berichten musste.
Der Obmann, der mehr als 10 Jahre jünger war als sein bester Athlet, reagierte genauso panisch auf die neuesten Entwicklungen, über die ihm gerade berichtet wurde. Auch er konnte sich kaum an die ausgelassene Feier erinnern und hatte auch ab dem Eintreffen in dem Club in der Nähe des angeblichen Tatortes einen Filmriss. “Ich glaube, er hat keine Waffe bei sich,” meinte der mitgenommene August. “Also was ist wenn wir ihn einfach ins Freie tragen und auf einer Parkbank zurücklassen?” Der Obmann fügte sofort hinzu: “Sehr gute Idee, die auch von mir hätte kommen können. Dann müssen wir nur hoffen, dass er alles gesteht und dieses Foto nicht weiter verfolgt wird. Ich kann mich ja nicht einmal erinnern, mit dem in einem Taxi gefahren zu sein.” August nickte zustimmend. “Ja, was glaubst, was ich für einen Schock hatte, als ich den in der Früh… gut, es war schon eher Mittag… als ich den am Sofa liegen gesehen habe. Nächstes Mal müssen wir definitiv weniger trinken.”
August musste wirklich alle Zähne zusammenbeißen, um den Plan ohne Zwischenfälle auszuführen. Als sie das Bierfass behutsam weghoben, realisierten sie, dass es komplett leer getrunken war. Wenn sie Glück hatten, hatte der Verbrecher einen Großteil davon zu sich genommen und würde während der Aktion nicht zu Bewusstsein kommen. Sie packten jeweils zwei Gliedmaßen und hievten die Fracht zuerst ins Vorzimmer und dann hinaus auf den Gang. Gerade als sie den schweren Sack in den Lift verfrachteten, hörten sie Stimmen im Stiegenhaus und versteckten sich rasch hinter der Wohnungstüre. In der Zwischenzeit wurde jedoch der Aufzug samt illegalem Inhalt gerufen und die beiden Männer sahen einander panisch an. “Du, das macht ja nichts,” meinte der Obmann schließlich. “Ist doch egal, wo sie ihn finden.” August nickte und verriegelte seine zwei Schlösser rasch. Wenigstens waren sie nun in Sicherheit.
Nach dem aufregenden frühen Nachmittag gönnten sich die zwei Bierdeckelweitwerfer noch ein oder zwei Reparierbiere und beschlossen, einen kleinen Schönheitsschlaf einzulegen. Als sie knapp vor den 19 Uhr-Nachrichten wieder aufwachten, holte August rasch eine Tiefkühlpizza aus dem Gefrierschrank und wärmte diese in der Mikrowelle auf. Der Obmann erweckte in der Zwischenzeit den Fernseher zum Leben. “Eine interessante Wendung hat es im Fall Biczi heute Nachmittag in Wien gegeben. Die Polizei wurde von einer älteren Dame verständigt, nachdem sie den vermeintliche Mörder betrunken im Lift ihres Wohnhauses entdeckt hatte. Der Verdächtige ist auf Grund seines hohen Alkoholspiegels jedoch noch nicht vernehmbar. Wir halten sie wie immer am Laufenden,” ratschte die Nachrichtensprecherin unmotiviert hinunter. “Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt, nicht August?” meinte der Obmann und steckte sich fast ein ganzes Stück Pizza auf einmal in den Mund. “Bis jetzt, ja,” antwortete der Bierdeckelweitwurfmeister mit vollem Mund. “Hoffen wir, dass es auch so bleibt.”
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