Der Mähboot-Fanatiker im Sommerurlaub

Wilhelm hatte sich schon seit Beginn des Jahres auf seinen sechswöchigen Sommerurlaub, der ihm als Beamter in fortgeschrittenem Alter zustand, gefreut. Als er in der zweiten Juli-Woche endlich punktgenau um 14 Uhr am Freitag das Amtsgebäude verließ, um seine wohlverdiente Erholung anzutreten, sah er sich bereits die langen, warmen Sommertage im FKK-Bereich des Gänsehäufels, wo die Familie seiner Frau seit den 1960er Jahren eine Kabane hatte, nackt in der Sonne rösten. Für ihn gab es fast keine größere Freiheit, als ohne lästige Badehose das kühle Nass der Alten Donau zu genießen und dann nach der körperlichen Betätigung seine Energiereserven mit einer wohlschmeckenden Stärkung vom Buffet wieder aufzufüllen. Unter der Woche kasteite er sich normalerweise mit Eiernockerln, während er sich am Wochenende ein Surschnitzerl mit Bier genehmigte.

Am Weg nach Hause musste er sich noch über die Chefin ärgern, die sich immer über seine Pläne für die Sommerferien lustig machte. Nicht nur erklärte sie ihm regelmäßig, dass man, wenn man für den Job geschaffen wäre, keinen Urlaub brauchte, sondern einmal hatte sie ihm sogar bei einer Abteilungsfeier gesagt, dass ihr bei der Vorstellung seiner Feriengestaltung übel werden würde. Deswegen riet er allen, die es hören oder auch nicht hören wollten, davon ab, in den Bundesdienst einzutreten. Nachdem er es schon so lange ausgehalten hatte, hatte er es aufgegeben, sich um eine neue berufliche Herausforderung umzusehen, aber für andere Leute war es ja noch nicht zu spät, sich für ein erfüllenderes Arbeitsleben zu entscheiden. Wenn ihm die Aufträge zu mühsam wurden, gönnte er sich ein paar Tage Krankenstand, aber in der Arbeit wurde er sowieso mittlerweile zum Glück größtenteils in Ruhe gelassen. Nun wollte er allerdings wenigstens im Urlaub nicht an das Büro denken. 

Besonders genoss Wilhelm die Morgenstunden im Bad, wo nur Enten, Schwäne, die Kabaneninsassen und einige Badewaschel das Gelände unsicher machten. Noch bevor er das von seiner Frau zusammengestellte Frühstück zu sich nahm, begab er sich nur mit einem Handtuch bekleidet in den FKK-Bereich, wo er seine müden Glieder und seinen eingerosteten Kreislauf mit einem Sprung ins kühle Nass in Gang brachte. Nach der Morgenmahlzeit auf der Terrasse vor der Kabane, während die Sonne schüchtern den Himmel hochkletterte, ging er ein bis zwei Stunden seiner absoluten Lieblingsbeschäftigung im Urlaub nach. Je nachdem, wo sich die Mähboote an diesem Morgen befanden, stellte er eine Liege auf, streckte sich genüsslich darauf aus und beobachtete, wie Tonnen an Schlingpflanzen von den vielen kleinen, wendigen Booten aus dem Gewässer gefischt wurden. 

Als noch wenige große Mähboote im Einsatz waren, war das Beobachten noch relativ langweilig gewesen. Damals war er primär froh darüber gewesen, dass die Massen an unguten Pflanzen, die manchmal auch im Wasser vor dem FKK-Bereich wucherten, endlich entfernt wurden. Schließlich hatte er mehrere Tage Alpträume davon gehabt, als er einmal unabsichtlich durch eine Ansammlung an glitschigen Unterwasserpflanzen geschwommen war. Es hatte damals jedenfalls nicht nur an den Beinen gekitzelt. Seit einigen Jahren waren jedoch viele kleine, wendige Amphibien-Mähboote im Einsatz, die gemeinsam wie minutiös einstudiert in einem durch lange schwimmende gelbe Würste abgegrenzten Bereich einer wunderbaren Mähchoreographie nachgingen. Wenn sie beschleunigten und sich die Kettenlaufwerke in den Schlingpflanzen verbissen, standen sie plötzlich in einem 45-Grad Winkel zur Wasseroberfläche, so wie Schwäne, die ihre Hintern bei der Futtersuche unter Wasser in die Höhe streckten. Ein wunderbares Bild war das, fand Wilhelm. 

Leider waren die Mähboote nur im Einsatz, bis Freizeitboote, Schwimmerinnen und Schwimmer, Ruderinnen und Ruderer sowie diverse sich erholenden Menschen das Gewässer für sich in Anspruch nahmen. Dann zog sich der Beamte meistens in die Kabane zurück, um etwas Kraft für den zweiten Schwimmgang im FKK-Bereich und das Mittagessen zu sammeln. Meistens studierte er entweder die Bezirkszeitung oder las einige Seiten in einem Kriminalroman bevor er anfing, genüsslich vor sich hin zu schnarchen. Seitdem sich die Kabanennachbarn mehrmals über das laute Schnarchen im Freien beschwert hatten, versuchte er nur mehr im Häuschen dem Schönheitsschlaf nachzugehen. Die gute Nachbarschaft war schließlich auf dem engen Raum besonders wichtig und man hatte schließlich auch seinen guten Ruf zu verlieren. Das hatte ihm seine Frau zu Beginn der Ehe mehrmals klar gemacht. “Benimm dich im Gänsehäufel oder du riskierst die Scheidung,” hatte sie ihm in ihrem ernstesten Ton erklärt. 

Die Mahlzeiten nahm er in der Regel gemeinsam mit seiner Frau im FKK-Bereich des Buffets ein, wo es nur notwendig war, sich auf ein Handtuch zu setzen. Er empfand es als unglaublich wohltuend, dass man hier im Vergleich zur Außenwelt nicht wegen eines Bierbauchansatzes oder Hängebrüsten stigmatisiert wurde. Anders als zum Beispiel im Büro konnte er sich hier komplett entfalten, obwohl das Bad und den Arbeitsplatz nur wenige Kilometer Luftlinie trennten. Je näher das Ende des Urlaubes rückte, desto mehr klammerte sich Wilhelm an seine Routine im Bad und seine Akribie beim morgendlichen Mähboote beobachten. Schließlich würden ihm die wunderbaren Erinnerungen wieder Kraft für den mühsamen Arbeitsalltag geben, wenn der heillos überforderte Referatsleiter ihn wieder einmal zur Schnecke machte, weil er einen angeblich extrem wichtigen Akt nicht rechtzeitig abgefertigt hatte. Vielleicht hätte er sich doch als Mähbootfahrer bewerben sollen. 


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