Gelangweilt schlenderte Angie die Hecke in ihrem Garten entlang. Die Sonne spendete noch die letzten Sonnenstrahlen des Tages und die abenteuerlustige Katze wollte eigentlich gemeinsam mit ihrem vierbeinigen Freund von nebenan noch ein, zwei Mäusen auflauern. Auch mit ein paar Kletterübungen in den zahlreichen Obstbaumkronen der Nachbarn hätte sie sich zufrieden gegeben, denn sie naschte unglaublich gerne die wohlschmeckenden Blüten. Doch der Spielgefährte war nicht zum vereinbarten Treffpunkt erschienen. “Wahrscheinlich hat sich das Weichei wieder zum Kuscheln überreden lassen, anstatt mit mir sinnvolleren Aktivitäten nachzugehen”, miaute sie den Gartenzwerg genervt an, der ein viel zu breites Grinsen auf seinem speckigen Gesicht trug. “Und ich kann mich schon wieder alleine beschäftigen. Super!”
Als sie den Gartenzaun erreicht hatte, bog gerade der Nachbar von der gegenüberliegenden Straßenseite mit seinem bis an den Rand befüllten roten Kombi um die Ecke. Er fuhr schwungvoll in die Einfahrt und stellte sein Fahrzeug schließlich auf dem mit Waschbetonplatten ausgelegten Vorplatz vor der Doppelgarage ab. Als er rasant die Handbremse anzog, zuckte Angie kurz zusammen und stellte reflexartig die Haare auf. “So ein Schnitzer”, knurrte sie genervt. “Das war wirklich eine lächerliche Aktion. Hoffentlich hat das niemand gesehen.” Der in Jeans und Poloshirt gekleidete Mann stieg nun aus und blinzelte kurz in ihre Richtung. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich ducken, um nicht gesehen zu werden. Er schien sie nicht erkannt zu haben und begann damit, den vollen Kofferraum zu leeren.
Obwohl sie den Mann noch nicht so oft gesehen hatte, wusste sie von Freunden, dass er über eine hervorragende Kraultechnik verfügte und auch nach etwas Überzeugungsarbeit nicht abgeneigt war, seine fleischlastigen Mahlzeiten mit Vierbeinern zu teilen. Kurzerhand beschloss also die verzweifelte Mieze, ihr Glück zu versuchen und überquerte vorsichtig und unbemerkt die Dorfstraße. Auf der anderen Seite angekommen, beobachtete sie, wie der Mann sich gerade voll bepackt mit zwei Sackerln und zwei Sporttaschen in Richtung des Hauses schleppte und dabei vor Anstrengung immer wieder leicht stöhnte.
Eine offene Autotüre, die er vermutlich ob der schweren Beladung vergessen hatte, komplett zu schließen, erweckte Angies Aufmerksamkeit. Zu Hause durfte sie nicht ins Auto springen, was sie nicht verstand, weil das Fahrzeug ihrer Besitzerin schon bessere Tage gesehen hatte. “Ich will nicht, dass du die Schutzüberzüge zerkratzt”, musste sie sich jedes Mal anhören, wenn sie einen neuerlichen Versuch gestartet hatte, hineinzuhüpfen. “Außerdem sind Autos gefährlich und ich will nicht, dass du irgendwann einmal auf die Idee kommst, in ein fremdes Fahrzeug einzusteigen.” Damit war die Diskussion immer sofort beendet und auch die jämmerlichsten Töne konnten die Meinung der Zweibeinerin nicht umstimmen. Nun hatte sie also eine einmalige Chance.
Langsam pirschte sich Angie an die Türe heran. Hoffentlich kam der Nachbar nicht gleich wieder zurück und sie hatte etwas Zeit für diese aufregende Aktion. Nachdem sie leider feststellen musste, dass sie nicht ganz durch den kleinen Spalt passte, stemmte sie sich mit aller Kraft gegen die Türe, um diese weiter zu öffnen. Nach einem kurzen genervten Miau schaffte sie schließlich, das schwere Ungetüm zu bewegen. Die erste Hürde war nun geschafft. Überschwänglich sprang sie sofort in den Innenraum des Fahrzeuges und krachte unsanft mit dem Kopf gegen eine auf der Rückbank gelagerte Kiste. Wieder musste sie sich nicht nur über ihre Unachtsamkeit ärgern, sondern auch darüber, dass der Nachbar so viel Klumpert transportieren musste.
Nach zweimaligem Beuteln sah der Stubentiger nun nicht mehr doppelt und zwängte sich durch die Kisten und Autositze in den vorderen Teil des Wagens. Dort konnte sie sich wenigstens frei bewegen und den Ausblick von der Vorderscheibe genießen. Noch verstand sie die Faszination der Zweibeiner von diesem vierrädrigen Transportmittel nicht, aber vielleicht hatte sie die spannenden Aspekte noch nicht erkundet. Vorne angekommen bemerkte sie, dass der Nachbar gar keine Schonbezüge hatte, und rieb sich genüsslich am kratzigen Stoff. “Gut, dass die Sitze schwarz sind,” miaute die schwarze Katze mit sich selbst. “So sieht der Nachbar nicht gleich, dass ich ihm einige Haare hinterlassen habe.” Zufrieden erspähte sie das Lenkrad und kam sofort auf die glorreiche Idee, dort hinaufzukraxeln. Das sieht wie ein lustiger Klettergarten aus, stellte sie erfreut fest und machte einen großen Satz in Richtung des Spielzeuges.
Als ihre Pfoten auf dem Leder auftrafen, ertönte ein lautes, furchteinflößendes Geräusch und Angie schreckte zusammen. Mit aufgestelltem Fell und weit geöffneten Augen kauerte sie nun zwischen Armaturenbrett und Windschutzscheibe und schwor sich, in Zukunft etwas öfter den Anweisungen ihrer Besitzerin zu folgen. In dem Moment bog der Nachbar um die Ecke der Garage und erschrak, als ihm in der Dämmerung zwei leuchtende, verängstigte Augen aus seinem Fahrzeug entgegenblickten. Während das Fellbüschel sich verzweifelt einen Fluchtweg überlegte, hatte sich der Mann bereits von seinem Schock erholt und stand nun herzhaft lachend direkt vor der Motorhaube und rief seine Frau: “Komm, schnell, Schatz, das musst du dir anschauen. Die schwarze Katze hat sich in mein Auto verirrt.” Angie war weniger amüsiert.
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